Das OZG war ein wichtiger Schritt, um die Digitalisierung der Verwaltung voranzutreiben. Erstmals wurde auch die Perspektive der Nutzer:innen betrachtet. Die meisten Aktivitäten bezogen sich allerdings auf das „Frontend“ der Fachverfahren. Die weitaus größere Herausforderung sind die dahinter liegenden Prozesse und Strukturen.
Das OZG muss also auch nach Ende 2022 weitergehen. Um diese Fortsetzung gezielt vorantreiben zu können, braucht es ein geeignetes Vorgehen mit hilfreichen Strukturen. In der Landesverwaltung von Mecklenburg-Vorpommern hat man unter Leitung von Franziska Schäfer bereits eine gute Grundlage mit dem OZG Programm geschaffen, um auch im nächsten Schritt auf Veränderungen reagieren zu können, Kommunen auf Augenhöhe einzubinden und eine hohe Dynamik zu entwickeln.
In ihrem am 27. Dezember 2021 auf LinkedIn veröffentlichen und hier zitierten Erfahrungsbericht beschreibt sie die Vorgehensweise und die Effekte, die mit diesem innovativen Weg einhergingen:
Seit dem Sommer 2020 bin ich in der Landesverwaltung in Mecklenburg- Vorpommern als Referentin im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung unterwegs. Als Leiterin eines großen Digitalisierungsprogramms, verantworte ich die Umsetzung des Onlinezugangsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern und die dazugehörige, übergeordnete Koordinierung auf Bund-Länderebene. Für mich werden sich ab dem 1.1.2022 die beruflichen Aufgaben verändern, so dass dieser Artikel ein fachlich-persönlicher Rückblick meiner Arbeit in der Landesverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten 15 Monaten ist.
Ich bin ein Kind des boomenden eCommerce und habe auch hier meine Passion für agile Arbeitsweisen sowie modernes Management entdeckt und schlussendlich die letzten zehn Jahre ausgeübt. Mit dem Wechsel in die Landesverwaltung nach Schwerin habe ich dieses Mindset mitgenommen. Mir war bewusst, dass ich nun in einem völlig anderen Umfeld unterwegs bin. Förderale Strukturen aus Bund, Land, Kommunen, Gemeinden und Landkreise – und in manchen Fällen noch die EU – das heißt im Verhältnis zur Wirtschaft eine erheblich komplexere Struktur. Die großen Themen heißen Standardisierung, Modernisierung, Digitalisierung und Wandel. Dazu gibt keine bis wenige Blickwinkel, Verwaltung als Dienstleister auf Bürger: innen und Unternehmer: innen zu sehen. Oft arbeitet Verwaltung im Wasserfallmodell. Dazu sind Hierarchie und die damit verbundenen Silos stark ausgeprägt.
Nichtsdestotrotz hatte ich die Vision, mein Mindset, agile Arbeitsweisen und modernes Management in die Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern zu bringen und mein Wissen zu teilen.
Unsere deutsche Verwaltung ist eine tradierte Organisation. Sie steht für Sicherheit, Ordnung und Stabilität. Eigentlich für eine Verwaltung nicht verkehrt, aber in den Zeiten in denen Rahmenbedingungen sich ändern, Unsicherheit bestehen und die Komplexität steigt, eher suboptimal. Mit dem Onlinezugangsgesetz hat sich Deutschland ein großes Ziel gesetzt. Bis Ende 2022 sollen ca. 6.000 Verwaltungsleistungen für Bürger: innen und Unternehmer: innen als Onlinedienste auf 16 Landesportalen zur Verfügung stehen. Der Grundsatz zur Umsetzung des Gesetzes, ist die arbeitsteilige Erstellung der Dienste. Jedes Bundesland bearbeitet einen Teil der 6.000 Verwaltungsleistungen und stellt sie dann den anderen 15 Ländern zu Verfügung. Viele Bundesländer haben sich ein bis zwei Jahre Zeit für die Konzeption der dazu notwendigen Programme nehmen können. Für Mecklenburg-Vorpommern gab es diese Zeit nicht.
Ein schneller Start
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Die Verfügbarkeit der Dienste hing von 15 anderen Bundesländern ab. Es war also nicht möglich einmalig einen Masterplan für die Umsetzung zu erstellen. Es brauchte eine zyklische Planung mit der Möglichkeit regelmäßig die Qualität der Lösungen mit den Stakeholdern zu überprüfen.
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Zum Zeitpunkt der Planung war nicht klar wie der Onlinedienst funktionieren würde. Erst Mitte 2021 entschloss sich das höchste Gremium der CIOs der Länder die Standards für die Onlinedienste verstärkt durchzusetzen und als bindend zur verankern.
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Es würde in der Praxis mehrere Teams geben, die übergreifend zusammenarbeiten müssen. Die Orchestrierung dieser Teams brauchte Rituale, um einen kontinuierlichen Informationsfluss, Wissenstransfer und auch Vertrauen in die Zusammenarbeit zu schaffen.
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Das Gesetz nahm Bürger: innen und Unternehmer: innen als Zielgruppe in den Fokus, so dass zusätzlich der Anspruch existierte, möglichst viele Onlinedienste nutzerzentriert zu entwickeln.
Mehr denn je bewies sich die Sinnhaftigkeit und Relevanz von Piloten, d.h. im Kleinen ausprobieren und lernen, um dann im Großen auszurollen.
Wir haben die Version 0.1 unseres OZG Programms von November 2020 bis Anfang Februar 2021 verprobt. Mit dem Landesamt für Straßenbau und Verkehr Mecklenburg-Vorpommern erstellten wir in zwei Teams unter Einsatz der agilen Methode, dem Design Sprint, nutzerzentrierte Onlinedienste mit überragendem Erfolg. Es zeigte sich, dass es möglich ist, innerhalb von 3 Wochen digitale Prototypen zu entwickeln und mit den zukünftigen Nutzer: innen zu verproben. Zudem stellten wir fest, dass agile Werte und Prinzipien auch in der Verwaltung ihren Platz haben und als Mehrwert angenommen werden.
Wir lernten aber auch, dass die Überführung unserer Prototypen in den Betrieb viele Herausforderungen mit sich brachte. Die derzeitigen Prozesse waren weder auf eine derartige Geschwindigkeit noch auf die zu bewältigten Masse an Onlinediensten ausgelegt. Um also auf mehrere 1.000 Leistungen in Form einer Digitalisierungsfabrik zu skalieren, brauchte es bis zum Sommer 2021 deutliche Prozessoptimierungen beim Übergang vom Projektteam an das Betriebsteam. Um die Projekte zu steuern, haben wir ein Programmmanagement aufgebaut. Auch hier ging es darum zu verstehen, was und wen es braucht, um mehrere 1.000 Leistungen zu digitalisieren.
Wir hatten nach knapp 12 Wochen (inkl. Jahreswechsel) also unglaublich wertvolle Informationen erhalten. Auf der Basis dieser Arbeit ist das heutige OZG Programm Mecklenburg-Vorpommern konzipiert worden.
Was haben wir gelernt?
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Nutzerzentrierung & Verwaltung stellen keinen Widerspruch dar, sondern können sehr gut zusammenpassen; eine Umsetzungsvariante im Programm basiert auf der Arbeit in Design Sprints.
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Die angestrebte Digitalisierungsfabrik besteht eben nicht nur aus technischer Entwicklung, einem Portal und Basiskomponeten. Es braucht immer organisatorische Verantwortlichkeiten und die notwendigen Arbeitsmittel in Form von Dokumentation der Informationen.
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Kollaboration und Kommunikation ist bei einem derartigen Programm absolut notwendig. Nicht zuletzt ist das Management aller Beteiligten eine essenzielle Schlüsselfunktion. Beide „K“s brauchen ausreichend Ressourcen und auch die notwendigen systemischen Werkzeuge.
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Es ist absolut notwendig einen Standardprozess für 80% der Anwendungsfälle zu erarbeiten und vor allen Dingen in die Organisation zu intergieren. Es wird sichergestellt, dass sich für einen gewissen, durchaus hohen Arbeitsanteil in den Teams eine Komplexitätsreduzierung und damit auch eine Reduzierung der Arbeitsbelastung einstellt. Das Team ist somit für die verbleibenden 20% der aufkommenden Anwendungsfälle in der Lage schnell, belastbare, individuelle Lösungen zu erarbeiten und auch Entscheidungen zu treffen.
Funktionierende Teams
Komplexität in der Verwaltung
Es bleibt also festzuhalten, dass in Mecklenburg-Vorpommern in den vergangenen 15 Monaten ausprobiert, adaptiert, justiert und gelernt wurde. Unser Vorgehen ist neuartig und innovativ in der Verwaltung. Es bleibt nicht ohne weitere Herausforderungen. Auch in der Verwaltung ist die Welt komplex. Unplanbarkeit ist nicht die Ausnahme, es ist der Normalzustand. Tradierte Strukturen stoßen immer öfter an ihre Grenzen, weil sie nicht auf die heutige Komplexität ausgerichtet ist. Die gedachte Theorie und die tatsächliche Praxis ähneln sich immer weniger und damit passen Ausgangslage und Ziel auch nicht mehr zwangsläufig zusammen. Sie müssen immer wieder aktiv zueinander in Beziehung gesetzt werden. Ausprobieren ist nicht unprofessionell. Es stellt Praxistauglichkeit und bewusste Priorisierung in den Vordergrund.
Das OZG Programm Mecklenburg-Vorpommern und vor allem die Vorgehensweise ist ein kleines zartes Pflänzchen, dass das Potential hat, weiter zu wachsen und zukünftig ein fester Bestandteil der Arbeit in der Verwaltung zu sein.
Ein großes Dankeschön an meine Kolleg: innen Juliane Piske und Mandy Peters für die Zusammenarbeit während der Pilotierung. Ich danke Tal und Nicole von der Beratung Apiarista für die Pionierarbeit beim Umsetzen von Agilität in der Verwaltung, eurem überdurchschnittlichen hohen Engagement und unermüdlichen Einsatz als Retter in der Not als Menschen und Prozesse, die eigentlich funktionieren sollten, es nicht taten.
Für die außerordentlich gute, kollegiale und konstruktive Zusammenarbeit im Scrum Team danke ich dem eGo Zweckverband M-V, Eileen Neumann und David Hälke, dem Landkreistag M-V Jonathan Fahlbusch, Roland Grösch vom Büro kooperatives Government M-V und Kathrin Mangelsen.
Ein herzliches Dankeschön auch an Ina-Maria Ulbrich, Staatsekretarin für Digitalisierung der Verwaltung und CIO des Landes Mecklenburg-Vorpommern und Karsten Gillhaus, Abteilungsleiter Digitalisierung der Verwaltung, für die Bereitschaft dieses Vorhaben anders zu bearbeiten, die intensive Zusammenarbeit und die Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung.
Und last but not least: Lieber Stefan Haase. Ohne dich wäre das OZG Programm MV heute nicht da, wo es ist. Whoop, Whoop! Es ist mir eine überaus große Freude und Ehre gewesen mit dir zusammenarbeiten.
Veröffentlicht von Franziska Schäfer – Referentin im Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern und Leitung des landesweiten OZG Programms – auf LinkedIn.